Esther Hagenmaier
Miriam Prantl
Hanna Roeckle
Raum / Sequenz / Farbe
20. Oktober 2023 bis 13. Januar 2024
Einen Eindruck von der Ausstellung finden Sie hier:
artmapp Ausgabe Winter 2023/24
artmapp Ausgabe Winter 2023/24
artmapp Ausgabe Winter 2023/24
artmapp Ausgabe Winter 2023/24
SÜDWESTPRESSE vom 11. 11. 23
SÜDWESTPRESSE vom 11. 11. 23
Esther Hagenmaier
PRÄCHTIG
2023, Pigment Print auf Aludibond, 55 x 46 cm
Miriam Prantl
mana Lichtfeld
2014, 90 x 90 x 10 cm, Aluminium, Glas, Led, Steuerung
Hanna Roeckle
Column Blue
2015, Lack auf Swisscdf, 163 x 52 x 34 cm
Esther Hagenmaier
Kaunas_folded
2022, Fotografie, Pigment Print auf Aludibond, 73 x 50 cm
Miriam Prantl
eightfolds 14 a
2021, Acryl, Gouache, Klebeband auf Holz, 60 x 50 x 5 cm
Hanna Roeckle
Hängend:
Pentagramm, Rosetta Red, Mutation
2021, Lack auf SWISSCDF, 100 x 100 x 25 cm
Stehend:
Crystalline Needle XL
2019, Lack auf GFK, 240 x 53 x 40 cm
Daniela Baumann, Kunsthistorikerin, zur Ausstellungseröffnung von Esther Hagenmaier, Miriam Prantl und Hanna Roeckle
Der Titel RaumSequenzFarbe versucht das Unmögliche: Einen gemeinsamen
Nenner für das Schaffen dreier Künstlerinnen zu finden, deren Ausdrucksformen
sehr eigenständig sind und im ersten Moment wenig Gemeinsamkeiten zu
haben scheinen. Mit dieser Ausstellung bringen die BEGE Galerien erstmals
Arbeiten von Esther Hagenmaier, Miriam Prantl und Hanna Roeckle zusammen.
Dadurch wird der Fischerplatz zumindest vorübergehend zum Dreiländereck –
nur das hier nicht drei gleichrangige Territorien aufeinandertreffen, sondern sich
drei Künstlerinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz auf Augenhöhe
begegnen. Statt um Grenzen geht es heute Abend auch eher um Entgrenzung,
denn durch die Kombination der Werke entstehen spannende
Wechselwirkungen und Beziehungen. Mit Fotografien, Skulpturen, Bildern,
Reliefs und Werken der Lichtkunst verwandeln die drei Künstlerinnen die
Galerieräume in ein künstlerisches Environment, das den Besuchern eine
ganzheitliche Raumerfahrung bietet.
Kristalline Formen sprießen aus dem Boden und faszinieren mit einem
changierenden Spiel der Farben. An den Wänden fordern streng voneinander
abgegrenzte, klar konturierte Farbflächen auf teils unregelmäßig geformten
Bildgründen die Sehgewohnheiten der Betrachterinnen und Betrachter heraus.
Gleichzeitig hüllen Werke der Lichtkunst ihre Umgebung in strahlende, reine
Farbe und überwinden die harte Trennung von Kunst und Raum. Die genuine
Handschrift jeder einzelnen Künstlerin ist klar erkennbar. Trotz ihrer Originalität
weisen die künstlerischen Ansätze von Hagenmaier, Prantl und Roeckle
Schnittstellen und Parallelen auf, die in der näheren Betrachtung deutlich
werden.
Die offensichtlichste Gemeinsamkeit ist sicherlich die methodische und
strukturierte Arbeitsweise, welchen allen drei Werken zugrunde liegt. Frauen
wird in sexistischer Weise häufig eine hohe Emotionalität unterstellt. Wenn man
in den Raum blickt, sieht man aber keine spontanen, expressiven Gesten,
sondern klare Konturen, geometrische Formen und eine Farbpalette, die Ruhe
ausstrahlt.
Hanna Roeckle und Miriam Prantl denken nach eigener Aussage in Systemen.
Sie bevorzugen komplexe Ordnungen und ein Spiel nach klar definierten Regeln
gegenüber dem emotionalen Ausdruck. Das herausragende Merkmal dieser
Systeme besteht in ihrer Modularität – wir begegnen sowohl in Miriam Prantls als
auch in Hanna Roeckles Werk einem Vokabular an Grundelementen und Formen
in immer wieder neuer Variation – das wird bei den Columns, den Rosetta
Wandobjekten oder auch den Crystalline Needles ganz deutlich. Variationen von
Dreiecken, Vierecken und Fünfecken treffen hier in unterschiedlichen Winkeln
aufeinander und bilden unterschiedliche Raumkörper, die sich seriell
wiederholen. Viele basieren auf genormten Maßen, deren Basiselement 33 x 43
cm misst. Aus ihm entwickelt Hanna Roeckle ihre Formate. Die Dimensionen
ihrer Werke betragen mal ein Vielfaches, mal einen Bruchteil der Größe dieses
Elements.
Jede Serie verfügt über einen individuellen Charakter: Während die Elemente
der Columns eher behäbig, die Needles hingegen drängend in die Höhe streben,
formulieren sich die Rosetta-Arbeiten um ein Zentrum herum und verdichten
sich zur Mitte hin. Die Gemini-Skulpturen hingegen wirken trotz ihrer glatten
Perfektion wie kleine Findlinge. Gleichzeitig fügen sich die Werke der
verschiedenen Serien im Raum wie in einer Art Familienporträt zu einem
harmonischen Gefüge, das immer wieder erweitert und neu arrangiert werden
kann. Die Verwandtschaft ist auf alle Fälle unübersehbar und schafft einen hohen
Wiedererkennungswert.
Hanna Roeckle ist vor allem in der Schweiz und in Liechtenstein, aber auch
darüber hinaus, mit zahlreichen Werken im öffentlichen Raum präsent. In
Vaduz/Liechtenstein geboren und heute in der schönen Schweiz, in Zürich
lebend, studierte Hanna Roeckle von 1970 bis 1975 an der Hochschule für
Gestaltung in Zürich. Im Anschluss unterrichtete sie bis in die 1990er Jahre
hinein Kunst an Schulen in Zürich, bevor sie ihre eigene künstlerische
Ausbildung 1993 mit einem Studium der Druckgrafik an der Künstlerwerkstatt
Bethanien in Berlin weitertrieb und sich schließlich ganz auf ein Dasein als freie
Künstlerin verlegte. Das war sicherlich eine sehr gute Entscheidung, denn
zwischenzeitlich weist die Vita Hanna Roeckles zahlreiche Stipendien,
Auszeichnungen und Ausstellungen auf.
Grundform und Variante, genormte Maße, das Prinzip der Serialität sowie die
Klarheit der Formen sind Merkmale, die auch die Arbeiten von Miriam Prantl
kennzeichnen. Ihre künstlerische Karriere ist sehr facettenreich. Bevor sie in der
Bildenden Kunst ihr bevorzugtes Metier fand, war die geborene Bregenzerin im
Kosmos des klassischen Tanzes zuhause. Nach zwei Jahren als Halbsolistin im
Ballettensemble des Staatstheaters in Karlsruhe, weiteren Tanzengagements in
den USA, einem Studium der Schauspielerei in New York sowie diversen
Musikprojekten entschied sich Prantl von der darstellenden in die bildende
Kunst zu wechseln. Während ihres Studiums der Malerei, Skulptur und Grafik in
London fand Miriam Prantl zur Malerei.
Inzwischen ist Miriam Prantl längst in der Kunstwelt angekommen. Sie lebt und
arbeitet wieder in Österreich, in Dornbirn, und fällt regelmäßig durch
ausgewöhnliche Projekte wie zum Beispiel die vielbeachteten Lichtinstallationen
am Kunsthaus Bregenz, im Vorarlberg Museum oder am Silvretta Stausee auf.
Prantl interessierte sich schon früh besonders für Farbe und Form. Während
ihrer Studienzeit in London widmete die Künstlerin einen großen Teil ihrer Zeit
einer intensiven Auseinandersetzung mit Farbtheorie, um die
Ausdrucksmöglichkeiten dieses elementaren bildnerischen Mittels zu
ergründen. Fasziniert vom Potential der Farbe, begann Miriam Prantl nach einer
kurzen Phase der abstrakt-figürlichen Malerei, die Darstellung von allen
gegenständlich-realistischen Bezügen zu befreien und sich damit der Konkreten
Kunst anzunähern. Charakteristisch für die Konkrete Kunst sind streng
geometrische Kompositionen ohne jeden Realitätsbezug, die im Idealfall auf
wissenschaftlich-mathematischen Grundsätzen fußen.
Bezüge zur Wissenschaft findet man sowohl bei Miriam Prantl als auch bei
Hanna Roeckle. Roeckle verfolgt mit großem Interesse und voller Begeisterung
die wissenschaftliche Forschung, besonders in den Bereichen der
Molekularbiologie, Glasfaseroptik und Tiefseeforschung – allesamt Disziplinen,
die kommunikative Elemente und Systeme betrachten. Auch die Mineralogie
und Geometrie inspirieren den künstlerischen Schaffensprozess. So entwickelte
sich manche Form aus Kaleidoskop-Bildern von Kristallen, und auch die
Farbgebung der Arbeiten Hanna Roeckles ist oft von natürlichen Vorlagen
abgeleitet. In der Rezeption durch den Betrachter spielen die ursprünglich
gegenständlichen Bezüge allerdings keine Rolle mehr, denn hier legt Hanna
Roeckle mehr Wert auf die sinnliche Ausstrahlung und materielle Form der
Werke sowie auf die darin angelegten Möglichkeiten zur persönlichen
künstlerischen Weiterentwicklung als auf die Vermittlung einer eindeutigen,
intellektuellen Botschaft.
Miriam Prantl ist fasziniert von den physikalischen und mathematischen
Grundlagen des Raumes und lässt sich im künstlerischen Schaffensprozess von
Überlegungen zur String-Theorie sowie anderen naturwissenschaftlichen
Hypothesen leiten. Während wir uns im Alltag gewöhnlich in einem
dreidimensionalen Raum bewegen – vorwärts und rückw.rts, links und rechts,
sowie hoch und runter –, gehen String-Theoretiker von der Existenz einer viel
höheren Zahl von Dimensionen sowie von der Annahme aus, einige davon seien
„aufgerollt“, also derart verdichtet, dass wir sie nicht direkt als tatsächlich
existierende Raumrichtungen wahrnehmen.
Werktitel wie eightfolds verweisen den Betrachter darauf, dass Prantls Bilder
nicht zwei- sondern mehrdimensional angelegt sind. Verdichten und
Ausdehnen: Dieses in der String-Theorie sowie in anderen Raumtheorien
zentrale Begriffspaar beschreibt einen Kontrast, der viele von Prantls Bildern
charakterisiert. Dicht an dicht, auf kleinsten Raum gesetzte Linien finden sich in
ihren Arbeiten genauso wie mit gro.zügigem Abstand platzierte Linien. Der
Künstlerin geht es dabei weniger um bloße Umsetzung und Visualisierung
mathematischer oder physikalischer Theorien als vielmehr um das
undogmatische Spiel mit aus naturwissenschaftlichen Disziplinen gewonnenen
Erkenntnissen und Ideen zum Begriff des Raumes.
Es erfordert einige Momente des intensiven Schauens bis man den wahren
Charakter der Linien wahrnimmt und erkennt, dass es sich hierbei nicht um
gemalte Bildelemente, sondern um aufgeklebte Bänder handelt, die sich
minimal von der Leinwand abheben. Nimmt man es also genau, sind diese
Arbeiten von Miriam Prantl nicht im klassischen Sinne Bilder – es sind extrem
flache Reliefs. Im Kontext dieser Objekte, die eher Raum als Bild sind, versteht
die Künstlerin die von ihr gesetzten Linien als Raumachsen, die eine Art
Koordinatensystem erschaffen und welche die Künstlerin selbst in enger
Beziehung zu ihrer Karriere als Tänzerin sieht. Tanz, das sind im professionellen
Bereich meist streng koordinierte Bewegungsabläufe, die im Raum einer Bühne
stattfinden. Das Ausschreiten des Raumes durch den Tanz ist eine Erfahrung, die
Miriam Prantl tief verinnerlicht hat. Sie bildet die Grundlage für viele ihrer Bilder,
denn gleich einer Choreografin, die Laufwege und Standpunkte festlegt,
erkundet die Künstlerin über die akribisch von ihr gesetzten Linien und Punkte
Raum und Räumlichkeit. Je nach Lichteinwirkung und Farbigkeit entwickeln die
Kompositionen eine vage bis beeindruckende Tiefenräumlichkeit, die allein auf
Farbe und Form basiert.
Auch die Werke von Esther Hagenmaier faszinieren durch ihre Räumlichkeit.
Ähnlich wie bei ihren Kolleginnen Prantl und Roeckle dominieren klar konturierte
Flächen, strenge Linien und reduzierte Farben. In Kombination mit den
unregelmäßig geformten Bildgründen erinnern die Wandarbeiten an die Kunst
der Hard Edge. Diese Richtung innerhalb der Konkreten Kunst verzichtet auf
jeden Gegenstandsbezug und inszeniert Farbe und Form mit Hilfe von scharfen
Konturen und spitzen Winkeln in harten Abgrenzungen. Typisch für die Hard
Edge der späten 1950er Jahre waren die sogenannten „Shaped Canvasses“ –
Leinwände, welche die geometrischen Strukturen des Bildes aufgriffen und so
Bildträger und Inhalt in konsequenter Zweidimensionalität vereinten.
Auch Hagenmaier entzieht sich den Konventionen des rechteckigen Tafelbildes,
indem sie ihre Bildgründe an die Formen der Darstellung anpasst. Der zentrale
Leitsatz der Hard Edge-Bewegung „What you see is what you see“, geprägt von
Frank Stella, greift im Falle ihrer Werke allerdings nicht, denn in der genaueren
Betrachtung wird deutlich, dass sie mehr als bloße Farb- und Formenspiele
enthalten.
Ein Dachgesims, Abdrücke einer Holzverschalung, die Kante einer Brüstung – es
sind subtile Details, die Indizien dafür liefern, dass es sich bei den Arbeiten
tatsächlich um Fotografien handelt. Bevor ich weiter auf die Werke eingehe,
auch hier noch eine kurze Vorstellung: Für die in Ulm lebende Esther
Hagenmaier bedeutet diese Ausstellung hier in den BEGE Galerien ein
Heimspiel. 1975 in Aalen geboren, studierte Esther Hagenmaier Freie Kunst an
der Hochschule der Bildenden Künste in Saarbrücken, wo sie in Sigurd Rompza
einen wichtigen und ihre Kunstauffassung prägenden Lehrer fand. Rompza gilt
als ein Verfechter der Konkreten Kunst, einer Kunstrichtung, welche die
Darstellung von allen gegenständlich-realistischen Bezügen befreite und die
bildnerischen Mittel von Farbe und Form zum alleinigen Bildinhalt erhob. Statt
ihrem Lehrer Rompza in die Malerei zu folgen, fand Esther Hagenmaier während
ihres Studiums in der Fotografie ihr bevorzugtes künstlerisches Ausdrucksmittel.
Esther Hagenmaier arbeitet mit dem Angebot, das ihr die gebaute Umwelt zu
Fü.en legt, ohne die vorgefundenen Strukturen zu verschönern oder zu
verändern. In einem ersten Schritt extrahiert sie das spätere Werk in einem
geistigen Prozess aus dem architektonischen Zusammenhang und arbeitet das
Motiv durch akribisch gewählte Kameraperspektiven heraus. Der Beschnitt des
Bildträgers verwandelt den fotografischen Abzug dann in eine künstlerische
Ausdrucksform, die zwischen Fotografie und skulpturalem Wandobjekt oszilliert.
Dieser zweite Schritt entfernt alle narrativen Elemente und abstrahiert die
Darstellung so sehr, dass das Ausgangsmedium der Fotografie kaum mehr
wahrnehmbar ist.
Ihre „shaped photography“, so die von dem Kunsthistoriker Martin Mäntele
geprägte Bezeichnung für ihre unregelmäßig geformten, auf Aludibond
kaschierten Abzüge, beweisen einerseits, dass Fotografie mehr sein kann als ein
Medium der Dokumentation und leichten Verständlichkeit, andererseits dass die
Konkrete Kunst nicht auf Malerei und Skulptur begrenzt ist. Esther Hagenmaier
lenkt die Aufmerksamkeit ihres Publikums auf die reale Existenz Konkreter Kunst
in ihrer alltäglichen Umgebung. Sie findet diese „latenten Bilder“ vor allem in der
reduktionistischen Formensprache modernistischer und moderner Architektur.
Der präzise Beschnitt verleiht den Werken einen erstaunlich hohen Grad an
Tiefenräumlichkeit, erschwert die räumliche Orientierung aber beträchtlich – so
sehr, dass die Perspektive immer wieder kippt und das menschliche Auge kaum
mehr erkennen kann, was oben und unten, vorne und hinten ist.
Die Erfahrung, vom eigenen Sehapparat im Stich gelassen zu werden, macht
man auch in der Begegnung mit den Skulpturen von Hanna Roeckle. Die mit
Autolack gespritzten Skulpturen bieten Betrachterinnen und Betrachter ein
visuelles Erlebnis, das sie aktiv miteinbezieht, denn je nach Blickwinkel und
Standort verändert sich die Farbe der Oberflächen. Dieser Effekt beruht auf der
Verwendung von dichroitischem Lack, dessen Töne Hanna Roeckle eigens für
ihre Werke nach ihren Vorgaben entwickeln und mischen lässt.
Der dichroitische Lack besteht aus mehreren optischen Interferenzschichten,
die enge Spektraltoleranzen aufweisen und in der Art eines Filters bestimmte
Wellenlängen des Lichts durchlassen, während sie andere reflektieren. Je nach
Lichteinfall filtern die Schichten des Lacks andere Wellenlängen, was das Auge
unterschiedlich stimuliert und im Gehirn abwechselnde Farbempfindungen
hervorruft.
Die Faszination dieser Werke ergibt sich aus dem changierenden Spiel der
Farben. Die Reaktionen auf die Skulpturen der Schweizer Künstlerin ähneln sich:
Nach einem Augenblick der Irritation beginnen die meisten Menschen, die diese
Arbeiten zum ersten Mal sehen, sie langsam und andächtig zu umkreisen und
sich aktiv mit dem Werk, aber auch dem umgebenden Raum und den eigenen
Beobachtungen auseinanderzusetzen.
Der Zusammenhang von Wahrnehmung und Raum ist ein zentrales Thema im
Schaffen aller drei Künstlerinnen. Manche Arbeiten der Ausstellung
konstituieren Raum, andere lösen ihn auf. Sie spielen mit Schwellen und
Übergängen. Hanna Roeckles Skulpturen strahlen wie glitzernde Edelsteine in
den Raum. Das Schimmern der Farben und der Glanz der Oberfläche lösen die
kristalline Gestalt der Objekte ganz leicht auf. Auch Miriam Prantls
Lichtkunstwerke und Installationen erweitern sich in den Raum hinein. Von dem
Wunsch getragen, Farbe in ihrer reinsten Form zu erleben, begann die Künstlerin
um 1996 nach Möglichkeiten zu suchen, die Farbe von allen Trägermaterialien
zu lösen und fand in der Lichtkunst ein neues Experimentierfeld. Da Farbe ein
durch das Auge vermittelter Sinneseindruck ist, der durch Licht hervorgerufen
wird, erscheint dieser Schritt logisch. Nicht mehr Pinsel und Farbe erschaffen
nun die Kunstwerke, sondern Licht und Schatten – wie hier im Eingangsbereich,
wo durch den Schattenwurf eine Art Zeichnung auf der Wand entsteht.
Der Schatten spielt in den Arbeiten von Esther Hagenmaier ebenfalls eine
Schlüsselrolle. Sie fasst den Schatten nicht als temporäres Phänomen, sondern
als vollwertiges Raumelement auf. Dadurch führt sie ihrem Publikum wichtige
Wahrnehmungszusammenhänge vor Augen: Ohne Licht wäre der Raum nicht
wahrnehmbar und ohne Raum – genauer gesagt dessen Begrenzungen –
würden wir kein Licht wahrnehmen. Licht und Raum bedingen sich also
gegenseitig, im Zusammenspiel von beidem entsteht der Schatten. Für unser
optisches Sensorium ist das eine ohne das andere nicht existent. Das Licht
beleuchtet Dinge, der Schatten blendet Dinge aus. Dieser Vorgang wiederholt
sich in unserer alltäglichen Wahrnehmung mannigfach. „Wer etwas einblendet,
blendet etwas anderes aus, wer etwas sichtbar macht, invisibilisiert anderes“,
stellte der Philosoph Walter Benjamin schon 1931 in seiner „Kleinen Geschichte
der Photographie“ fest. Dass unsere Rezeption der Realität durch ihre
Momenthaftigkeit und Fokussierung auf einzelne Details nie das gesamte Bild
wiedergibt, ist eine Einsicht, die in unserer Zeit von unschätzbarem Wert ist.
Prantls Werke konfrontieren das Publikum mit Phänomenen der
Entmaterialisierung, denn das Licht beschränkt sich in seinem Wirkungsgrad
nicht wie im Falle der klassischen Malerei auf seinen Bildträger, sondern hüllt die
ganze Umgebung in ihren immateriellen Abglanz. Genau darum geht es Miriam
Prantl: Sie strebt nach der Schaffung möglichst ganzheitlicher Erfahrungen. Oft
in Kombination mit Sound, entwickelt Prantl mit Hilfe von Licht atmendpulsierende
Lichträume, die das Publikum multisensuell ansprechen. Von
besonderer Bedeutung dabei sind die LED-Technik und die Möglichkeiten der
computerbasierten Steuerung, welche es durch ein praktisch trägheitsloses
Schalten erlaubt, den Helligkeitswert einer Farbe bruchlos in einen anderen zu
übertragen. Mit Hilfe dieser Technik lassen sich Farben ähnlich nuancenreich
mischen wie in der klassischen Malerei. Ähnlich einer Komponistin, setzt Miriam
Prantl mit großer Sorgfalt Rhythmen und ein breites Spektrum an Farbtönen so
ein, dass ganze Licht-Partituren entstehen. Miriam Prantl schafft raum- und
ortsbezogene Interventionen, durch die man – eingehüllt in farbiges Licht –
hindurchwandeln kann. Durch die Flüchtigkeit der Erfahrung sowie die
Langsamkeit der teilweise kaum wahrnehmbaren Farbwechsel zwingt Prantl ihr
Publikum zur Konzentration und zum Innenhalten.
Auch Hanna Roeckle kann durch die modulare Systematik, die ihrem Schaffen
zugrunde liegt, direkt und flexibel auf den jeweiligen Ort reagieren und sich
intensiv mit den Wechselwirkungen von Farbe, Körper und Umgebung
beschäftigen. Die so entstehende Gesamtkomposition verändert sowohl die
Wahrnehmung als auch das Wahrgenommene: Die individuellen Teile wirken
plötzlich als Ganzes, ihre Farben und Formen beginnen miteinander zu
interagieren. Bekannte Settings erscheinen als Environments, in denen eine
gewohnte Umgebung plötzlich Teil eines Kunstwerks wird und sich so die
Sphären von Kunst und Alltag, von Kunst und profanem Raum neu
durchdringen.
Die schlichten geometrischen Formen von Hagenmaier, Prantl und Roeckle sind
zeitlos, gleichzeitig aber ein Ausdruck unserer Zeit: Sie treten der heute
vielbeklagten Reizüberflutung, der optischen Umweltverschmutzung, mit reinen,
konzentrierten künstlerischen Formulierungen entgegen. In ihren Werken trifft
reine Farbe trifft auf konkrete Form. Die Beschränkung auf monochrome oder
wenige, meist klar voneinander abgegrenzte Farbflächen bildet einen
Kontrapunkt zur grellen Buntheit der Plakat- und Konsumwelt. An die Stelle
expressiver Gesten setzen die Künstlerinnen subtile Farbeffekte und ein Spiel mit
Räumlichkeit, dessen Reiz sich im Zusammenspiel mit Licht entfaltet.
Die Skulpturen, Objekte und Installationen dieser Ausstellung können als
Untersuchungen zu Licht, Bewegung und Raum gewertet werden. Die
Künstlerinnen studieren das Zusammenspielspiel und die Wirkung dieser drei
Komponenten unter der kalkulierten Einbeziehung der Betrachterinnen und
Betrachter. Diese werden mit immateriellen, ephemeren (flüchtigen)
Phänomenen konfrontiert und erleben durch den Ausstellungsbesuch, dass die
Rezeption unserer Umwelt stark von der persönlichen Perspektive und dem
eigenen Standpunkt abhängt. Automatisches Sehen wird in der Begegnung mit
den Arbeiten zur bewussten Wahrnehmung. So verschaffen Hagenmaier, Prantl
und Roeckle ihrem Publikum Momente der Reflexion und Einlassung, die in der
Schnelllebigkeit des heutigen Alltags eine Rarität bedeuten.